„Nie ohne die Anderen"

Drei angehende Ingenieure der DHBW Lörrach und ein Tetraspastiker haben gemeinsam ein Programm zur Alltagsbewältigung entwickelt.

Jungen Menschen unterschiedlicher Bildungseinrichtungen ist es gelungen, Bewährtes und Innovatives perfekt miteinander in Einklang zu bringen: Robert Lauber, Oliver Niesel und Michael Gächter studieren Mechatronik Trinational an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) und werden in einem Jahr ausgebildete Ingenieure sein. Bereits jetzt haben sie die Welt von Lennart Schilke aus Köln dauerhaft verändert. Lennart ist durch eine sogenannte tetraspastische Cerebralparese an allen vier Extremitäten und der Zunge spastisch gelähmt, sein Leben kann er nur mit ständiger Assistenz durch andere Menschen führen. Auch spezielle behindertengerechte Computer und die zugehörige Software konnte er bisher aufgrund seiner schweren Behinderung nicht bedienen. Auf der Suche nach einer Berufsperspektive wurde er gerade deshalb für die drei Studenten zum unverzichtbaren Bestandteil ihrer Studienarbeit an der Hochschule und hat sich selbst dabei belohnt.

Robert, Oliver und Michael haben für Lennart eine maßgeschneiderte Lösung entwickelt und diese auch sogleich umgesetzt: Eine Anwendung, die es ihm ermöglicht, einen Computer selbständig über Sprachlaute zu steuern. Für alle Mitmenschen ist es alltäglich, mit Freunden zu chatten, im Internet zu surfen oder sich Notizen machen. Bisher war Lennart dabei auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Privatsphäre sind für den sympathischen Kölner nun für immer Teil seines Alltags.

Robert, Oliver und Michael sind stolz: „Wir wollten in unserem Projekt etwas sinnvolles entwickeln – keinen Toaster, der sich von selbst ausschalten kann.“ sagt Oliver. Lennarts Behinderung wurde so zur Chance für die drei ehrgeizigen jungen Männer aus Lörrach und Basel. Sie hatten das, was Ingenieure eine „Anforderung“ nennen – einen „Kunden“, der weiß was er braucht, aber nicht weiß, wie es geht. Dieses muss ein Ingenieur dann im ständigen Austausch mit dem Anforderer nach und nach schrittweise entwickeln. Zu Projektbeginn absolvierte Lennart als der schwerstbehinderte Anforderer sein mehrwöchiges Schulpraktikum im Labor der Hochschule im Dreiländereck. Gemeinsam arbeiteten die vier jungen Menschen daran, die Computersteuerung perfekt auf die Bedürfnisse von Lennart auszurichten, damit er diese später auch im Alltag benutzen kann. Zuvor waren Robert, Oliver und Michael schon nach Köln gereist, um Lennart in seinem Alltag zu beobachten und seinen Anforderungen auch möglichst gerecht zu werden.

„Das Außergewöhnliche an diesem Projekt ist, dass durch gleichzeitiges Lernen mit verschiedenen Arbeitsaufträgen etwas entwickelt wurde, mit dem sich alle identifizieren. Das ist ein Musterbeispiel für eine Win-Win-Situation“, sagt Ursula Spauschus, die dieses Projekt von Köln aus ins Rollen gebracht hat. Sie ist als Lehrerin am Berufskolleg Deutzer Freiheit neben ihrem herkömmlichen Schulalltag auch für die „Mobilität in der Berufsbildung“ sowie Schülerpraktika zuständig. Als sie nun zum ersten Mal vor dieser wirklich interessanten und zugleich ungewöhnlichen Herausforderung stand, Lennart ein maßgeschneidertes Praktikum anzubieten, nahm sie beflügelt durch ihre Neugierde auf das Machbare Kontakt zu Prof. Dr. Stefan Hess auf, der den Studiengang Mechatronik trinational an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach leitet. Als der die Geschichte von Lennart hörte, passte plötzlich alles zusammen. Er fand Studenten, die von der Idee geleitet, etwas Außergewöhnliches zu entwickeln, Lennart auch sofort helfen wollten. Die Hochschule stellte umgehend ein Entwicklungsbudget zur Verfügung, um das ehrgeizige Projekt zu ermöglichen. Gleichzeitig beantragte Ursula Spauschus Fördermittel der Europäischen Union für dieses einzigartige Projekt, damit Lennart im Mechatronik-Labor die Entwicklung dieser einzigartigen Erfindung selbst begleiten konnte.

„Das hat mein Leben verändert“ meint Lennart Schilke. „Unseres auch ein bisschen“, sagen Oliver, Robert und Michael wie aus einem Mund. Alle Projektbeteiligten sind mit dem erfolgreichen Verlauf des Projektes sehr zufrieden. Sie erleben gerade eine Sternstunde bei der Ausbildung junger Menschen: international, interkulturell und individuell.