China formiert sich neu

Prof. Dr. Jürgen Wagenmann hielt im Rahmen der Veranstaltung „China formiert sich neu – Chancen und Risiken für baden-württembergische Unternehmen“ einen Vortrag zum Thema „Die Zukunft der chinesischen Volkswirtschaft – Perspektiven und Handlungsempfehlungen für die deutsche Wirtschaft“.

Zum Auftakt der Plenarsitzung des diesjährigen Volkskongresses verfolgt die chinesische Regierung eine nachhaltige und umweltbewusste Wirtschaftsentwicklung. Neben moderaten, aber langfristig ausgelegten Wachstumsraten plant Regierungschef Li Keqiang darüber hinaus die Bekämpfung der Korruption im Land. Mit der Stärkung des Dienstleistungssektors und der Binnennachfrage möchte die kommunistische Führung der chinesischen Wirtschaft eine neue Richtung geben und sich langfristig von umweltintensiven Industrien, Außenhandelsgeschäften und Anlageimmobilien distanzieren.

Vor diesem Hintergrund luden Baden-Württemberg International (bw-i) in Kooperation mit dem Deutsch-Asiatischen Wirtschaftskreis (DAW) sowie des Frankfurter Generalkonsulats der VR China am 9. März 2015 zur Informationsveranstaltung „China formiert sich neu“ ein. Hochkarätige Referenten informierten die rund 140 Teilnehmer über die aktuelle konjunkturelle Lage und die künftige Entwicklung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.

Prof. Wagenmann gab zunächst einen Überblick über den rasanten wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Chinas seit Ende der Kulturrevolution und unterstrich seine Aussagen mit vergleichenden Wirtschaftsdaten von westlichen Industrienationen und den BRIC-Staaten. Anschließend beschrieb er die Faktoren der chinesischen Erfolgsgeschichte: eine gigantische Bevölkerung, Reichtum an natürlichen Ressourcen, relativ niedrige Lohnkosten, ein breites Bildungssystem, die konfuzianische Philosophie sowie eine zentralistische Staatsführung.

Mittlerweile sieht sich China aber mit enormen Herausforderungen konfrontiert, welche die bisherige Erfolgsgeschichte deutlich dämpfen werden. Das Hauptproblem in der Zukunft wird die demographische Falle sein, d.h. die zunehmende Überalterung der Bevölkerung. So wird der Altenlastquotient von derzeit 12% bis im Jahr 2060 auf voraussichtlich über 50% ansteigen. Zum Vergleich: Deutschland wird einen Altenlastquotienten von >50% bereits um das Jahr 2030 erreichen. Mit anderen Worten, das Problem der Überalterung der Bevölkerung in China ist ernst, letztlich aber weniger schlimm als in Deutschland. Neben dem Hauptproblem Überalterung wird die chinesische Volkswirtschaft noch durch weitere Herausforderungen in ihrer zukünftigen Entwicklung abgebremst: Aufwertung des Renminbi, Inflation, Immobilienblase, Verkehrskollaps, Umweltverschmutzung, ungebremste Urbanisierung, überfällige Reform des Bildungssystems sowie ethnische Unterschiede.

Die langfristigen Prognosen für die chinesische Volkswirtschaft sind verhalten: Weiteres BIP-Wachstum bis etwa 2030, danach ein BIP-Rückgang bis etwa 2060 und anschließend Stagnation bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. Als Fazit ist festzuhalten, dass die deutsche Wirtschaft insgesamt keine übertriebene Furcht vor der Konkurrenz aus China haben muss. Aus den verhaltenen Zukunftsperspektiven der chinesischen Volkswirtschaft darf in deutschen Unternehmen jedoch nicht die Fehlentscheidung abgeleitet werden, den chinesischen Markt zu ignorieren oder sich gar aus China zurückzuziehen.

  • Gute Geschäfte im Reich der Mitte sind noch über mehrere Jahrzehnte zu erwarten – schon alleine wegen der schieren Größe des Marktes.
  • Technologieunternehmen aus den Bereichen Umwelt, Infrastruktur und Gesundheit (insb. Geriatrie) haben auch in Zukunft glänzende Aussichten auf dem chinesischen Markt.
  • Die Aufwertung des RMB bzw. Abwertung des EUR wird voraussichtlich nachhaltig sein und begünstigt die deutsche Wirtschaft.
  • Die Konsumgüterindustrie und insbesondere die Automobilhersteller wer-den sich jedoch langfristig umstellen müssen – von prestigeträchtigen teu-ren Produkten zunehmend hin zu funktionalen, intelligenten und günstigeren Produkten.
  • Die langfristig zu erwartende Abschwächung der chinesischen Wirtschaft bietet deutschen Unternehmen neue Perspektiven in der Region. So kön-nen die Wachstumsmärkte der ASEAN-Staaten wieder stärker ins Blickfeld rücken.
  • Am stärksten wird die Luxusgüterindustrie betroffen sein. Mit Anstieg des Altenlastquotienten auf ca. 50% bis zum Jahr 2060 werden die Chinesen spürbar weniger verfügbares Einkommen zum Kauf von teuren Luxusgütern übrig haben.