Impfstofflogistik - ein Fall für Logistikexperten

In den nächsten Tagen oder Wochen wird es einen Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus geben. Die Impfzentren sind eingerichtet und können nach Erhalt des Impfstoffes mit den ersten Injektionen beginnen. Expert*innen beschäftigt derweil die Frage der Distribution und Versorgung der Bevölkerung. Neben der Einrichtung von Impfzentren ist der fachgerechte Transport und die zeitgerechte Verteilung eine Herausforderung, die so betitelte „Impfstofflogistik“. Wir haben mit Prof. Dr. Christopher Stoller gesprochen, der im Rahmen des Bachelor-Studienganges BWL – Transport, Spedition & Logistik, u.a. die Pharmalogistik vertritt.

Pharmalogistik was ist das? Und welche Bedeutung hat diese Sparte in der gesamten Logistikbranche?

Prof. Dr. Stoller: Pharmalogistik beschäftigt sich mit der Beschaffung, Produktion und Distribution von pharmazeutischen Produkten vom Rohstofflieferanten über die Pharmahersteller bis zu den Krankenhäusern, Apotheken und Arztpraxen. Sie ist eine relativ neue Teildisziplin und trägt der Entwicklung der Bevölkerung, dem demografischen Wandel und dem technologischen Forschungsfortschritt Rechnung.

Wieso wird Pharmalogistik an der DHBW Lörrach explizit gelehrt?

Prof. Dr. Stoller: Lörrach selbst ist ein Knotenpunkt der Transeuropäischen Verkehrsnetze. Durch dieses Nadelöhr wird eine Vielzahl von Gütern von Süden nach Norden, von Westen nach Osten auf der Schiene, dem Schiff, der Straße und in der Luft transportiert. Die Nähe zur Schweiz hilft den Pharmaunternehmen aus dem Südwesten, ihre Produkte weltweit zu verteilen. Deshalb sind hier in der Region Fachleute in diesem Bereich der Logistik besonders gefragt. Als Duale Hochschule, die per se eng mit den für den Studiengang relevanten Branchen zusammenarbeitet, versorgen wir die entsprechenden Unternehmen mit Absolventen, die genau in diesem Bereich theoretische wie praktische Expertise mitbringen. Deshalb gehört die Pharmalogistik zu unserem Curriculum.

War die Impfstofflogistik im Bereich der Pharmalogistik-Vorlesungen schon vor der Pandemie ein Thema?

Prof. Dr. Stoller: Eigentlich nicht. Das Thema Massenimpfungen in einem zeitlich prekären Rahmen war bislang allenfalls eine Herausforderung in der Humanitären Logistik.

Wird es Forschungsarbeiten zu diesem Fallbeispiel geben?

Prof. Dr. Stoller: Sicherlich werden im Rahmen der Projekt- und Bachelorarbeiten einzelne Studierende mit ihren Unternehmen Fragestellungen aus der Impfstofflogistik aufgreifen.

Haben Sie von Logistikunternehmen bereits Anfragen bekommen, in dieser neuen Herausforderung fachlich zu unterstützen bzw. haben Sie sich hierzu in der Branche schon ausgetauscht?

Prof. Dr. Stoller: Wir stehen im regen Austausch mit Dualen Partnern und anderen Akteuren. Zurzeit wird ja die erste Impfwelle für Deutschland vorbereitet und hoffentlich in den nächsten Tagen ausgeführt. Im Weiteren gilt es, die zweite Impfwelle logistisch zu organisieren, d. h. es werden Impfstoffe nicht nur an Impfzentren, sondern auch an andere Stellen verbracht. Zudem muss natürlich auch die die globale Versorgung beachtet werden. Hier wird sicherlich das Luftdrehkreuz in Frankfurt eine große Rolle spielen.

Was ist die besondere Herausforderung am Transport der Impfstoffe?

Prof. Dr. Stoller: Es gibt verschiedene Temperaturbereiche zu beachten. Gegenwärtig muss der Impfstoff der Firma BioNTech aus Mainz, der aus dem belgischen Puurs ausgeliefert wird, bei -60 bis -80 Grad gelagert und transportiert werden.

Wie sähe eine ideale Transportkette von der Fertigung bis zum Impfling aus?

Prof. Dr. Stoller: Möglichst kurz, also Direkttransporte aus der Produktion an die Impfzentren. Jeder Umschlag ist ein Risiko.

Einige der möglichen Impfstoffe kommen nicht aus Europa: welche zusätzlichen Herausforderungen an die Lieferkette ergeben sich hier?

Prof. Dr. Stoller: Sicherlich wird die Luftfracht eine exponierte Stellung bei der globalen Distribution einnehmen. Der Weitertransport wird dann auf der Straße erfolgen müssen. Da zu vermuten ist, dass die ausländischen Impfstoffe geringeren Temperaturanforderungen entsprechen, wird auch der Straßentransport einfacher sein.

Ist die deutsche Logistikbranche vorbereitet auf diese speziellen Anforderungen und auch in diesen Umfängen?

Prof. Dr. Stoller: Ja. Die Branche ist Weltmarktführer und wird sicherlich auch in dieser speziellen Situation den Anforderungen gerecht werden. Die Logistik- und Transportunternehmen stehen bereits in den Startlöchern und werden schon in den nächsten Tagen mit den Transporten beginnen.

Ist der Transport von Impfstoff ein Gewinngeschäft oder eher im Kontext der sozialen Verantwortung von Pharma und Logistik zu sehen?

Prof. Dr. Stoller: Sicherlich ein Gewinn, sofern es um private Logistikdienstleister geht. Man muss sehen, inwieweit staatliche Stellen, z.B. die Bundeswehr, in den Roll-out miteinbezogen werden. Gerade für Engpässe wäre ein Einsatz denkbar. Letztlich hängt dies auch von den quantitativen und qualitativen Kapazitäten der Dienstleister ab.

In wenigen Tagen werden wir wissen, wie der Transport von den Produktionsstäten bis zu den Impfstellen geklappt hat. Aus heutiger Sicht, scheint die Branche gut vorbereitet.

Mehr zum Studiengang BWL-Spedition, Transport und Logistik hier.

Prof. Dr. Christopher Stoller steht für weitere Fragen gern zur Verfügung.